Es ist viertel vor neun am Morgen, ich wache von einem lauten, unangenehmen, in die Ohren kriechenden Geräusch auf. Ich denke mir - „was, Feueralarm-Überprüfung am Sonntag Morgen?“ und warte ein paar Sekunden ab – es hört nicht auf. Toll, also aus dem Bett gewurstelt, in Hose und Pullover geschlüpft, Schuhe gesucht und angezogen, Jacke geschnappt. Treppe runter. Ana steht vor dem Firepanel und stellt es auf MUTE (lautlos) und geht durchs Haus gucken, was das Problem ist. Es sind drei Minuten vergangen, als sie wieder aus dem Keller auftaucht und ich sie frage, was nun los ist. Sie meint, sie muss jetzt die Zimmer checken gehen. Ich gehe ganz schnell aufs Klo, ein bisschen ratlos ob der Tatsache, dass man, wie sonst auch in London, im Notfall anscheinend von tuten und blasen keine Ahnung hat. Ich gehe in mein Zimmer zurück, um den Laptop vom Stromkreis zu trennen und schaue auf die Straße. Oder besser gesagt, auf die gegenüberliegende Straßenseite. Laut den kleinen Infotafeln über Feuer, die im Treppenhaus hängen, heißt es nämlich, dass man, wenn der Feueralarm losgeht,
a) auf schnellstem Wege das Haus verlassen soll
b) beim Hinausgehen einen von den roten Notfallknöpfchen drücken soll (die Kästchen da)
c) sich auf dem Fußweg der gegenüberliegenden Straßenseite versammeln soll
d) dann die Feuerwehr auf 999 anrufen soll
e) das Haus nicht wieder betreten darf, bis es von der Feuerwehr freigegeben worden ist
Da stellt man sich die Frage, was nun passiert, wenn wirklich mal hier ein Feuer ausbricht. Ich stehe seit zwanzig Sekunden am Fenster und höre auf einmal jemanden mit einem anderen, in Maintenance-Uniform der Firma (also sowas wie Hausmeister) laut reden. Ich bekomme Fetzchen wie „Teppich“ „Scheiße“ „Rauchmelder“ und „Was soll ich da jetzt machen?“ mit und entschließe mich wieder dafür, in Richtung Firepanel zu gehen. Wenn es tatsächlich ein Problem gibt, wird der Feueralarm-Sound wieder angestellt, um alle im Haus zu informieren. Ich sitze auf der Treppe und glotze vor mich hin. Da kommt jemand die Treppe von der Küche hoch und, weil mir die Situation zu unangenehm ist, sage ich „Hello“ und er fragt mich „How are you? Hope you're allright“ (Wie geht’s dir? Hoffe dir geht’s gut“) - ich erkenne seine Stimme wieder. Er ist der Typ, der vorhin mit dem Maintenance-Menschen argumentiert hat. Er verzieht sich mit einem „Fucking Hell“ durch den Korridor in den anderen Teil des Hauses. Ich gehe in den Keller, um zu sehen, ob die Waschmaschine frei ist. Natürlich ist sie frei, ich komme mir allerdings doch irgendwie reichlich bescheuert vor, gerade ausgerechnet JETZT mit meiner Wäsche in den Keller zu gehen, in aller Seelenruhe die Waschmaschine anzumachen und wieder hoch zu gehen. Ich gehe von der Waschküche in Richtung Küche und sehe nach Ana. Einer anderer Maintenance-Mensch, den ich vom Hotel kenne, ein sehr netter, kommt mit seiner schweren Tasche durch den Kellereingang. Ich frage Ana wieder „Was ist los?“ und sie brabbelt etwas, das nach „Flooding“ klingt, aber Wasser und Rauchmelder? Da passt etwas nicht zusammen. „Tu mir nen Gefallen, schließ bitte die Tür im Keller“ - ich gehe also in die Küche und schließe die Tür und komme mir irgendwie reichlich bescheuert vor. Fünfzehn Minuten sind vergangen. Wäre wirklich ein Feuer, würde bei diesen absolut un-feuerfesten Pappwänden schon längst eine gesamte Etage in Flammen stehen. Ich gehe wieder in mein Zimmer und muss anfangen zu lachen. Ich setze mich vor meinen Laptop und schaue, ob ich ein W-Lan-Signal empfange. Im Hintergrund läuft „What now my Love?“ von Frank Sinatra. Ich muss einen anderen Song anmachen. Ich bin unentschlossen zwischen: This Fire (Franz Ferdinand), Set Yourself on Fire (Stars), Ring of Fire (Johnny Cash), Fire with Fire (The Gossip), Wheels on Fire (The Magic Numbers), Set Fire to the Third Bar (Snow Patrol), Dig for Fire (Pixies), All Fired Up (Interpol) und Wake Up (Arcade Fire) - ich nehme Franz Ferdinand. Ich mache mir Gedanken darüber, was ich auf meinem Weg in die Freiheit bei einem echten Notfall mitnehme und komme zu folgendem Schluss: Portemonnaie, Jacke, Laptop, Mitarbeiterausweis, Handy (inklusive beider SIM-Karten). Mit fällt weiterhin ein: schlafe niemals nackt, zumindest nicht in London. Da steht eher das Haus in Flammen, als dass man angezogen ist. Vierzig Minuten sind vergangen. Keiner auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Ich war anscheinend die einzige, die, außer Ana und dem Typen, der das Problem da hatte, tatsächlich aufgestanden ist. Na ja was soll's, ich muss dann eh um elf arbeiten gehen.
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